Erstes Grundsatzurteil des BGH zum Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG)

27.06.2021

Mit Urteil vom 07.05.2021, V ZR 299/19, hat der BGH entschieden, dass in bereits vor dem 01.12.2020 bei Gericht anhängigen Verfahren die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der aus dem gemeinschaftlichen Eigentum resultierende Rechte geltend macht, fortbesteht, solange dem Gericht kein entgegenstehender Wille der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht wird.

Sachverhalt: Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Baden-Württemberg. Das eine Grundstück steht im Eigentum des Klägers und einer weiteren Person, die zusammen eine Wohnungseigentümergemeinschaft bilden. An das Grundstück der Wohnungseigentümergemeinschaft grenzt das Grundstück des Beklagten. Dieser hat 2011 entlang der Grenze vier Zypressen mit einem Grenzabstand von unter vier Metern gepflanzt. Der Kläger verlangt deren Beseitigung, hilfsweise den Rückschnitt der Bäume.

Sowohl das Amtsgericht Mannheim als auch das Berufungsgericht sahen die Klage als begründet an. Mit der Revision möchte der Beklagte die Abweisung der Klage erreichen. Der Beklagte macht geltend, dass der Kläger aufgrund des zum 01.12.2020 in Kraft getretenen WEMoG seine Prozessführungsbefugnis nachträglich verloren hat, weil die Ausübungsbefugnis für Abwehransprüche aus dem gemeinschaftlichen Eigentum seitdem allein und ausschließlich der Gemeinschaft zugeordnet sei und nicht mehr den einzelnen Wohnungseigentümern.

Der BGH wies die Revision als unbegründet ab. Der Kläger als einer der beiden Wohnungseigentümer sei nach wie vor prozessführungsbefugt. Der Fall sei nach der Überleitungsvorschrift des § 48 Abs. 5 WEG zu beurteilen, der jedoch für die vorliegende Fallkonstellation eine vom Gesetzgeber nicht gesehene Regelungslücke aufweise. Die Regelungslücke ergäbe sich daraus, dass der neue § 9a Abs. 2 WEG, der die Ausübungsbefugnis jetzt der Gemeinschaft zuordnet, nicht zum Verfahrensrecht gehört, sondern sich bei den materiellen Vorschriften des ersten Teils (§§ 1-30 WEG) befindet. Der BGH führt weiter aus, dass wenn der Gesetzgeber diese Regelungslücke erkannt hätte, er sie mit einer Regelung geschlossen hätte, die sich an der Vorschrift des § 48 Abs. 5 WEG orientiert hätte, so könne die Prozessführungsbefugnis eines einzelnen Wohnungseigentümers nicht durch das bloße Inkrafttreten der Neuregelung entfallen. Da die Gemeinschaft die gerichtliche Rechtsverfolgung nicht vor dem 01.12.2020 durch einen Beschluss an sich gezogen habe, müsse nunmehr davon ausgegangen werden, dass sie sich weiterhin nicht in den für sie fremden Prozess eines Wohnungseigentümers einmischen wolle. Solange dem Gericht kein entgegenstehender Wille der Gemeinschaft zur Kenntnis gebracht werde, bestehe daher für ein Altverfahren die individuelle Prozessführungsbefugnis des Wohnungseigentümers fort.

Diese Entscheidung bedeutet für den Verwalter der WEG: Wurden individuelle Störungsabwehrklagen einzelner Wohnungseigentümer gegen Nachbarn vor dem 01.12.2020 erhoben, steht es der Wohnungseigentümergemeinschaft frei, ob sie sich in den laufenden Prozess einmischen möchte und dann gegebenenfalls das Prozesskostenrisiko mitträgt. Eine Verpflichtung des Verwalters, diese Thematik aktiv in die Versammlung einzubringen, besteht nicht.

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Ansprechpartner: Dr. Ronald in der Stroth