Testamente sind zeitnah zum Todesfall beim Nachlassgericht abzugeben; bei Verletzung der Pflicht kann Schadenersatz drohen

27.08.2022

Für viele Hinterbliebene stellt sich oftmals die Frage, wie mit Testamenten zu verfahren ist, die im Privatbereich des Verstorbenen aufgefunden werden. Immer wieder kommt es auch vor, dass der Erblasser mehrere Testamente hinterlässt, da bei Erstellung eines neuen handschriftlichen Testaments das zuvor erstellte nicht vernichtet wurde.

Dass eine allgemeine – gesetzliche geregelte – Abgabepflicht und zudem für alle noch existierenden Testamente besteht, ist wohl eher nicht allgemein bekannt.

Mit einem solchen Fall hat sich das OLG Hamburg, Urteil vom 09.09.2021, 2 U 9/21 auseinandergesetzt.

Der Erblasser wurde von seiner zweiten Ehefrau allein beerbt. Er hinterließ zudem eine im Ausland lebende Tochter. Der Erblasser hinterließ insgesamt drei Testamente, zwei handschriftliche Testamente aus dem Jahr 2006 und 2008 sowie ein notarielles Testament von 2012. Bei allen drei Testamenten war die Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt.

Nach dem Tod des Erblassers in 2018 wurde das notarielle Testament eröffnet. Die beiden anderen Testamente wurden von der Witwe erst bei Gericht eingereicht, nachdem von der Tochter ein Erbscheinsantrag gestellt wurde, mit der Begründung, dass der Vater 2012 nicht mehr testierfähig gewesen sei.

Die Tochter nahm sodann den Erbscheinsantrag zurück und forderte von der Witwe für unnötig aufgewandte Erbscheinkosten Schadenersatz. Das Landgericht gab der Klage zum Teil statt, das Berufungsgericht (OLG Hamburg) hob das Urteil auf und wies die Klage ab.

Das OLG Hamburg stellte in diesem Urteil jedoch vorab klar, dass es sich bei der gesetzlich geregelten Ablieferungspflicht von Testamenten um ein Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB handelt. Das bedeutet, dass bei einem Verstoß gegen die Ablieferungspflicht grundsätzlich ein Schadenersatzanspruch hierauf gestützt werden kann. Gegen diese ihr obliegende Verpflichtung habe die Witwe eindeutig verstoßen. Allein die Tatsache, dass sie in allen Testamenten zur Alleinerbin bestimmt wurde, sei für die grundsätzlich bestehende Abgabepflicht ohne Bedeutung. Allerdings, so das OLG weiter, könne ihr keine schuldhafte Verletzung der Ablieferungspflicht vorgeworfen werden, da sie davon ausgegangen sei, dass sie die Testamente nicht abliefern musste, weil sie in allen drei Testamenten zur Alleinerbin bestimmt worden war. Auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf könne ihr nicht gemacht werden, da die gesetzliche Regelung zur Abgabepflicht nicht selten unbekannt sei und sich für die Witwe auch nicht aufdrängen musste, dass sich die Erbfolge möglicherweise nicht nach Maßgabe des Testaments aus 2012 würde ermitteln lassen.

Das Gericht hätte dies aber auch anders sehen können. Es empfiehlt sich daher grundsätzlich, alle möglichen Schriftstücke beim Nachlassgericht einzureichen, die vom Verstorbenen verfasst wurden und ein Testament sein könnten.

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Ansprechpartner: Rechtsanwältin Dr. Petra Dietenmaier